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Soziale Betriebe in der Pandemiezeit

Corona und der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor in München: Die sozialen Betriebe stark machen für die Zukunft

Die Pandemiesituation und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt stellen den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor vor große Herausforderungen. Viele Münchner soziale Betriebe und deren Programme wie die Gebrauchtwarenhäuser waren aufgrund des Lockdowns von Schließungen betroffen. Erlösausfälle und schwierige Bedingungen für die Mitarbeiter*innen waren die Folge. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in München und die Zunahme besonders vulnerabler Gruppen bedeuten für die Betriebe künftig neue Szenarien. Die Verhinderung von Zuschusskürzungen und die bedarfsgerechte Förderung des Beschäftigungssektors durch Kommune und Bund sind in dieser Situation dringend gefordert. 

Über 30 soziale Betriebe von verschiedenen Trägern beschäftigen und qualifizieren in München langzeitarbeitslose Menschen, die Vermittlungsschwierigkeiten in den ersten Arbeitsmarkt haben. Als langzeitarbeitslos gilt, wer ein Jahr oder länger kein Beschäftigungsverhältnis vorzuweisen hat. Die sozialen Betrieben richten sich damit primär an geringqualifizierte Personen im Leistungsbezug des Jobcenters, die gesundheitliche Einschränkungen, psychosoziale Problemlagen oder Suchterkrankungen aufweisen. Die öffentlich geförderten Arbeitsplätze des 2. und 3. Arbeitsmarkts in den Betrieben ermöglichen den Teilnehmenden unter fachlicher Anleitung und unter sozialpädagogischer Begleitung eine Chance für niedrigschwellige Tätigkeiten und Beschäftigungsmaßnahmen – mitunter sogar für Umschulungen und Ausbildungen. Da die Betriebe in verschiedenen Branchen angesiedelt sind, existieren auch unterschiedliche Tätigkeitsfelder für diverse Zielgruppen: Gastronomie, Handwerk, Recycling, Hauswirtschaft oder die bekannten Gebrauchtwarenhäuser. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen stabilisieren die individuellen Problemlagen, fördern Selbstwirksamkeit und vermitteln berufliche sowie soziale Kompetenzen. In München sind die sozialen Betriebe Teil des städtischen Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramms (MBQ). Das MBQ ist ein eigenständiges kommunales arbeitsmarktpolitisches Programm und ergänzt als freiwillige Leistung der LHM die gesetzliche Arbeitsförderung des Bundes. Jährlich betreuen die Betriebe in München damit rund 2.000 Teilnehmende.  Die Betriebe und ihr fachliches Personal leisten damit einen wichtigen Beitrag für die soziale Teilhabe und soziale Integration in unserer Stadtgesellschaft und dafür dass am ersten Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen trotzdem eine Chance auf sinnhafte Tätigkeiten und soziale Wertschätzung erhalten.

 Pandemiebedingte Herausforderungen für die Betriebe

Doch auch an den sozialen Betrieben ging die Pandemie nicht spurlos vorbei, was beispielsweise die Situation in den Gebrauchtwarenhäusern verdeutlicht. Analog zum restlichen Handel mussten auch die Gebrauchtwarenhäuser aufgrund des Lockdowns mehrere Wochen schließen, so dass der Verkauf nur noch eingeschränkt möglich war. „Wir hatten enorme Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. Die Kundenzahl in unserem Haus ist im April 2021 im Vergleich zum April 2019 um 50% zurückgegangen.“ berichtet Stefan Lang, Betriebsleiter des GebrauchtWarenHauses Westend des gemeinnützigen Sozialunternehmens Weißer Rabe GmbH. Das Gebrachtwarenhaus, in dem gespendete Waren angenommen, geprüft, aufbereitet und verkauft werden, bietet geförderte Beschäftigungsmöglichkeiten im Verkauf, in der Logistik und in der Warenpräsentation.  Neben den öffentlichen Förderungen der Arbeitsplätze finanzieren sich die Warenhäuser aber auch über den eigentlichen Verkauf. Herr Lang berichtet dazu: „Wir spüren den Rückgang des Umsatzes natürlich. Aufgrund der Erlösrückgänge waren wir auf die öffentlichen Auffangnetze während der Pandemie angewiesen. Sonst hätten wir den Betrieb nicht aufrechterhalten können.“ Die öffentlichen Hilfetöpfe hätten manche Existenzkrisen zwar abgewehrt. Die Krise bedeutete für die Betriebe dennoch eine hohe wirtschaftliche Herausforderung.

Wie unverzichtbar die Arbeitsmöglichkeiten in den Betrieben sind, merkte man vor allem in Zeiten der Schließungen. Viele der Maßnahmenteilnehmenden mussten während des Lockdowns ihre Tätigkeiten einstellen. „Es ließ sich definitiv beobachten, dass einigen unserer Mitarbeiter*innen diese Situation ziemlich zusetzte. Die vorübergehende Unterbrechung der Beschäftigung und die soziale Isolation zu Hause verstärkte eh schon bestehende psychische Belastungsfaktoren oder führte bei einigen auch zu einem Rückfall in altes Suchtverhalten. Menschen mit psychischer Erkrankung haben oft weniger soziale Kontakte. Wenn dann aber noch die Arbeit wegfällt, ist die soziale Teilhabe massiv eingeschränkt, was zu persönlichen Krisenmomenten führt“, erklärt Herr Lang.  Natürlich spielten dabei auch Ängste vor einer Ansteckung durch den Virus oder vor einer kompletten Beendigung der Arbeitsmaßnahme eine Rolle. Umso wichtiger zeigte sich hier die sozialpädagogische Begleitung innerhalb der Betriebe. „Die psycho-sozialen Unterstützungsbedarfe sind stark angestiegen. Teilnehmende wurden telefonisch begleitet um die Isolation zu durchbrechen“ Auch die schwerere Erreichbarkeit von Behörden während der Pandemie hätten die Förderbedarfe der Menschen erhöht und so zu höheren Anforderungen beim pädagogischen Personal geführt. Doch auch nach den Schließungen, als der Regelbetrieb wieder anlief, verringerte sich der Unterstützungsbedarf nicht. „Die Unsicherheiten über das weitere Pandemiegeschehen, drohende auslaufende Maßnahmen der Mitarbeiter*innen und die unsichere Lage auf dem aktuellen Arbeitsmarkt belasten die Menschen, die eh schon von Arbeitslosigkeit und weiteren Problemlagen betroffen sind, nochmal mehr als sonst“ wie Herr Lang beobachtet.

 Allgemeine Auswirkungen der Pandemie auf den Münchner Arbeitsmarkt

Zusätzlich stellen die allgemeinen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie die kommunale Arbeitsmarktpolitik vor neue Szenarien und Herausforderungen. Der sonst sehr robuste Arbeitsmarkt in München verzeichnete aufgrund der Corona-Pandemie einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit.  Der Höchststand wurde im August 2020 mit knapp 49.000 Arbeitslosen erreicht. Dies entspricht einem fast 50% Anstieg zu den Monaten vor Ausbruch der Corona-Krise. Mittlerweile liegen die Gesamtarbeitslosenzahlen im Oktober 2021 zwar schon wieder bei 37.000. Allerdings verfestigen sich die Zahlen im Rechtskreis des SGB II – also unter denjenigen Arbeitslosen, die Arbeitslosengeld II vom Jobcenter beziehen. Dort sind aktuell 20.000 als arbeitslos gemeldet – ein Anstieg von 15% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Besonders problematisch ist dabei das Anwachsen der Langzeitarbeitslosen, deren Zahl sich momentan auf 9800 in München beläuft. Zum Vorjahresmonat bedeutet dies einen 45% Anstieg. Vergleicht man die Zahl mit dem Oktober 2019 vor der Krise, zeigt dies sogar einen 72% Sprung an.[1] Es sind also große Anstrengungen nötig um dieser Entwicklung gegenzusteuern und die Menschen schnellstens wieder in Beschäftigung zu bringen Genau hier kommt den sozialen Betrieben eine Schlüsselrolle zu, wie Herr Lang bekräftigt: „Mit den aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt wird die Bedeutung der sozialen Betriebe und der zielgenauen Arbeitsförderung künftig immer wichtiger um Menschen – insbesondere mit niedriger Qualifikation und geringen sozialen Kompetenzen – entsprechend Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten.“

Einige Zielgruppen geraten bei den Entwicklungen künftig besonders in den Fokus. Vergleichsweise häufig betroffen waren von dem pandemiebedingten Arbeitsverlust nämlich gering qualifizierte Personengruppen, in Teilzeit Beschäftigte und Angestellte im Niedriglohnsektor. Darunter – dies zeigen auch die Zahlen – fallen wiederum insbesondere Migrant*innen und Frauen. Beide Gruppen sind am Arbeitsmarkt sowieso schon mit strukturellen Ungleichheiten konfrontiert. Durch die Krise verschärften sich die ungleichen Chancen aber nochmal mehr. Solo-Selbstständige sind während der Pandemie ebenso besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Darunter fallen Kulturschaffende, Kleingewerbetreibende und personenbezogene Dienstleister. Da Solo-Selbstständige keinen Schutz der Arbeitslosenversicherung genießen, fallen sie sofort in den Bezug der Grundsicherung. Für die betroffene Gruppe – beruflich und soziokulturell sehr heterogen – fehlten bislang auch zentrale Anlaufstellen zur Beratung, Unterstützung und Weiterqualifizierung, so dass es hier künftig neue Angebote benötigt. Besonders verheerend trifft den Arbeitsplatzverlust natürlich auch ältere Menschen über 50+. Wenn hier eine Kombination aus altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen, aus einem Fehlen aktueller Kompetenzen für einen modernen und digitalen Arbeitsmarkt sowie aus psychischen Belastungen vorliegt, führt dies schnell zu multiplen Vermittlungshindernissen und zur Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit.

Arbeitsmarktpolitische Forderungen und Sicherung der Finanzierung

Angesichts der neuen und unterschiedlich betroffenen Personenkreise muss es nun insgesamt darum gehen, dass die öffentliche Arbeitsmarktpolitik sowie die Träger der sozialen Betriebe bedarfsgerechte und zielgruppenspezifische Angebote entwickeln, damit die Menschen nicht abgehängt werden. „Corona hat Existenzgrundlagen und Lebenskonzepte vieler Menschen zerstört und sie aus ihrem bisherigen Arbeitsleben gerissen. Einige – gerade auch im fortgeschrittenen Alter – werden keine Chance haben direkt in ihr bisheriges Arbeitsfeld auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen. Für diese Menschen benötigen wir eine Ausweitung von Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen um neue Integrationschancen zu garantieren“ fordert Herr Lang vom Weißen Raben. Gerade für ältere und (psychisch) kranke Menschen, die aufgrund ihrer geringen Leistungsfähigkeit auch langfristig keine Aussicht auf ein reguläres Beschäftigungsverhältnis haben, müssten laut Herrn lang auf Dauer geförderte Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden um langfristige soziale Teilhabe zu sichern.

Trotz der angespannten öffentlichen Haushaltslagen der Kommunen und des Bundes darf es in den sozialen Betrieben deshalb zu keinen Kürzungen kommen. Überall im sozialen Sektor ist zu beobachten, dass durch die Pandemie die Bedarfe nach psycho-sozialer Unterstützung gestiegen sind. Die sozialen Betriebe in München bieten für langzeitarbeitslosen Menschen eine wichtige persönliche Unterstützung und erfüllen gesellschaftlich wichtige Funktionen der Arbeitsmarktintegration und der Ermöglichung sozialer Teilhabe. Der wirtschaftliche Erhalt und der bedarfsgerechte Ausbau im Kontext der kommunalen Arbeitsmarktpolitik ist angesichts der aktuellen Entwicklungen deshalb unverzichtbar. Es bleibt abzuwarten, inwiefern nach der Bundestagswahl eine künftige Regierung hier auch auf Bundesebene mutige und nachhaltige arbeitsmarktpolitische Weichen für den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor stellen wird. 

Benjamin Maierhofer
Referent für Sozialpolitik und Spitzenverband
Caritas München

 

[1] Die Zahlen sind den monatlich erscheinenden Statistiken des Jobcenter Münchens entnommen. Siehe: https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=15024&r_f=by_Muenchen&topic_f=kreisreport-krp (letzter Aufruf am 12. November 2021).