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Kein Sparen im Sozialen - Senior*innen in der Pandemie

Senior*innen aus der Einsamkeit holen / Altersarmut entgegenwirken

Viele ältere Menschen können inzwischen wieder, nach fast eineinhalb Jahren, die davor gewohnten Kontakte pflegen sowie die zahlreichen Angebote Münchens nutzen, die nun wieder in Präsenz, wenn auch in kleineren Gruppen stattfinden. Die meisten sind geimpft und haben für sich damit das Risiko schwerer Krankheitsverläufe signifikant reduziert. Viele Senior*innen konnten durch die Erfahrungen ihrer Kindheit oder im Laufe ihres Lebens die Monate des auferlegten Rückzugs mit dem Verzicht auf Kontakte gut bewältigen. Zahlreiche Einrichtungen der offenen Altenhilfe haben sie dabei unterstützt, kreativ und mit hohem personellem Einsatz, um diese Zeit zu überbrücken. „Die Menschen waren anfangs sehr verunsichert, ob sie jemanden ins Haus lassen sollen, bzw. sich mit jemandem treffen können. Nachdem diese Bedenken nicht mehr so vordergründig waren, mussten alle Hygieneregeln beachtet werden.

Die Hausbesuche nach dem ersten Lockdown in voller Schutzausrüstung (Maske, Handschuhe, Schuhüberzüge, Desinfektionsmittel, Einwegumhang) wirkten auf die älteren Menschen oft befremdlich. Sie haben z.B. Probleme mit dem Hören. Das visuelle Erkennen des Gesprochenen über die Lippenbewegung ist für sie als Ergänzung sehr wichtig, die Stimme des Gegenübers mit Maske ist oft undeutlich. Die älteren Menschen mussten oft nachfragen, was gerade gesagt wurde. Dies war nicht nur für die Klienten anstrengend, sondern auch für die Berater*innen.

Die Lücke der nicht durchführbaren Hausbesuche haben wir durch intensive Telefonberatung aufgefangen und die Beratungsangebote für die Bürger*innen so engmaschig wie möglich aufrechterhalten. So war die gezielte Vermittlung von Hilfen möglich. Viele Menschen konnten während des ersten Lockdowns nicht einkaufen gehen. Die Beratungsstellen in den Sozialbürgerhäusern waren überlastet und telefonisch kaum zu erreichen. Die Verzweiflung der Menschen, ob sie etwas zu Essen haben würden, war groß. Hier haben wir telefonisch und per Mail diverse Initiativen, z. B. die Hilfsaktion „1000 Teller fliegen um München“ oder Nachbarschaftshilfen angesprochen und Einkaufshilfen vermittelt. Den kontinuierlichen Telefonkontakten, denen durch die Lockerungen im Sommer 2020 dann auch wieder Hausbesuche folgen konnten, gab den Ratsuchenden das Gefühl, dass sie nicht allein gelassen wurden. Auch während der Kontaktbeschränkungen war jemand für sie dagewesen.

Jedoch zogen sich Senior*innen, die bereits vor der Pandemie unter psychischen Belastungen und Einsamkeit gelitten haben, in den letzten 18 Monaten oft noch mehr zurück trauen sich den Austausch mit ihrem Umfeld nicht mehr zu oder haben den Schritt nach außen gar verlernt. Die Angebote der Offenen Altenhilfe sind jetzt gefordert, auf jene Senior*innen zuzugehen und diese aus ihrer Isolation zu holen, die die vor Corona bestandenen Kontakte nicht mehr aufgenommen haben.

Viele Senior*innen waren bereits vor der Pandemie selbst mit einem durchschnittlichen Renteneinkommens aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten und hohen Mieten auf zusätzliches Einkommen angewiesen. Etwa 30 % der Münchnerinnen und Münchner ab 65 leben unterhalb der Armutsschwelle und damit jede vierte Person in dieser Altersgruppe. Viele Senior*innen verzichten aber aus Scham oder Unwissenheit auf finanzielle Unterstützung oder entlastende Angebote und hatten sich stattdessen vor der Pandemie mit dem Eintritt in den Ruhestand einen Nebenerwerb gesucht. Während der Pandemie konnten viele Senior*innen ihren Nebenjobs nicht mehr nachgehen. Teilweise sind diese sogar dauerhaft weggebrochen. Diesen Senior*innen, die sich vor der Pandemie noch selbst helfen konnten, fehlt heute die Perspektive, ihre Renten aufzubessern. Zum 31.12.2020 erhielten bereits 14.600 Münchner Senior*innen Grundsicherung im Alter und die Gruppe der alter Menschen, die auf diese Leistungen zurückgreifen müssen, wächst weiter. Die Landeshauptstadt München unterstützt seine von Armut bedrohten oder betroffenen Senior*innen mit umfangreichen Leistungen, die die Wohlfahrtsverbände und freien Träger über ihre Angebote der Offenen Altenhilfe ausreichen können. Wer über weniger als 1350 € / Monat netto zur Verfügung verfügt, kann in München unterschiedliche freiwillige Unterstützungsleistungen nützen. Dazu gehört u.a. die kostenlose Beratung in den Beratungsstellen oder den Alten- und Servicezentren (ASZ), im eigenen Zuhause und im öffentlichen Raum, zu allen Fragen des selbstständigen Lebens. Außerdem zählen der kostenlose Mittagstisch, die kostengünstigen oder kostenlosen Freizeit- und Kulturangebote, die Unterstützung bei der Beschaffung und Nutzung digitaler Medien, die Vermittlung von Begleit- und Mobilitätshilfen, die Energieberatung sowie die Einzelfallhilfe und - derzeit im Modellprojekt - die Übernahme von Kosten für die Reinigung der Wohnung einmal pro Monat dazu. Wichtigste Aufgabe ist es, möglichst vielen Senior*innen mit Informationen zu erreichen, wo, wie und in welchem Umfang sie Zugang zu Leistungen haben. Bei diesen Angeboten erhalten aber Senior*innen nicht nur Hilfe, sondern sie können im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen aktiv mitwirken. Die Alterspanne der Senior*innen, die sich in den ASZ begegnen, umfasst bis zu 30 Lebensjahre, unterschiedlicher Biographien, Lebens-, Berufs- und Bildungsverläufe, Ethnien, und diverse geschlechtliche Orientierung.

Vorschläge für die Zukunft

Viele ältere Menschen haben nicht die Möglichkeit, digitale Hilfsmittel, wie Videotelefonie zu nutzen, um ihre sozialen Kontakte online weiter zu pflegen und sind eher misstrauisch und unsicher. Um diesem Problem entgegenzuwirken, sollen sich ältere Menschen mit niedrigschwelligen digitalen Angeboten der ASZ oder bei Nachbarschaftshilfen vertraut zu machen. Besonders ältere Menschen mit Migrationshintergrund sollen den Weg in die ASZ noch leichter finden. Die verstärkte und proaktive Telefonseelsorge. Die Behandlung von Depressionen und die Suizidprävention für Menschen müssen mehr im Fokus stehen.

Der Besuchsservice durch Ehrenamtlichen ist zu verstärken. Neben vielen Vermittlungs-stellen engagiert sich hier z.B. auch der Verein „Freunde alter Menschen e.V.“ Dieser vermittelt langfristig ausgerichtete Besuchspatenschaften.

Alle genannten Angebote entlasten Senior*innen und wirken gegen die Vereinsamung. Wir sind beauftragt, die gesundheitlich Beeinträchtigten, die alleinlebenden Älteren aktiv anzusprechen, damit sie nicht durch das Netz der Hilfen und Angebote fallen und die Unterstützungen auch finden. Diese sind unverzichtbar Leistungen und müssen trotz gesunkener Gewerbesteuereinnahmen ungekürzt aufrecht erhalten bleiben.

Vasudha Cardoso-Ribeiro und Monika Wieberger, Stadtteilarbeit e.V.
Marion Ivakko, Bayerisches Rotes Kreuz Kreisverband München